„Für die Bekämpfung der globalen Schwerstkriminalität in der Schweiz ist die enge Zusammenarbeit mit der EU unverzichtbar.“
Die ehemalige Fedpol-Direktorin im Interview – wieso die Bilateralen auch für die Sicherheit der Schweiz elementar sind
In einer Welt, in der Kriminalität und Terrorismus keine Grenzen mehr kennen, sind die Bilateralen – und damit die verlässliche Zusammenarbeit mit der EU – für Nicoletta della Valle weit mehr als eine politische Notwendigkeit. Sie sind unverzichtbar für die Bekämpfung der global agierenden Schwerstkriminalität und damit für die Schweizer Sicherheit. Als langjährige Direktorin des Bundesamts für Polizei (Fedpol) hat sie selbst hautnah erlebt, wie entscheidend der internationale Austausch im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus ist. Besonders das Schengen-Abkommen und das Schengen-Informationssystem (SIS) ermöglichen der Schweiz, in Echtzeit wichtige polizeiliche Informationen mit der EU auszutauschen und so potenzielle Gefahren wenn möglich schon im Keim zu ersticken. Für Frau della Valle steht fest: In einer zunehmend vernetzten Welt ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine Voraussetzung für die Sicherheit unseres Landes.
Frau della Valle, was bedeutet Ihnen der bilaterale Weg persönlich?
Als Tochter einer Bernerin und eines in der Schweiz geborenen Italieners kann ich gar nicht anders, als über den Schweizer Tellerrand hinauszublicken. Die Schweiz ist ein wunderbares Land – im Herzen Europas. Europa – und damit meine ich nicht die EU, sondern Europa als Kontinent, inklusive UK – mit seinen Sprachen, den vielfältigen und reichen Kulturen und Küchen, seinen Landschaften, seinen historischen Stätten und Städten, Europa mit seiner Geschichte: Europa ist für mich Heimat.
Sie waren über 10 Jahre Direktorin des Bundesamts für Polizei – kurz auch Fedpol genannt. Wie schätzen Sie die Wichtigkeit der bilateralen Beziehung mit der EU für die Sicherheit bei uns im Land ein? Können Sie uns von konkreten Erfahrungen erzählen, die diese Wichtigkeit untermauern?
Organisierte Kriminalität und Terrorismus, Wirtschaftskriminalität und Cybercrime – sie alle kennen weder Grenzen noch Regeln. Schwerstkriminalität agiert nicht lokal oder national, sondern global. Schwerstkriminelle arbeiten weltweit zusammen. Kein Land kann Schwerstkriminalität alleine bekämpfen – auch die Schweiz nicht. Nur durch internationale Polizeizusammenarbeit, grenzüberschreitenden Informationsaustausch und gemeinsame Operationen haben wir eine Chance, Schwerstkriminalität erfolgreich zu bekämpfen.
Ein zentraler Pfeiler dieser Zusammenarbeit mit der EU ist das Schengener Abkommen. Dazu gehört insbesondere das Schengen-Informationssystem SIS. Es ermöglicht der Schweiz die Teilnahme am polizeilichen Informationsaustausch der EU: die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So werden Terroranschläge verhindert, erfolgreiche Ermittlungen geführt und Schwerstkriminelle vor Gericht gebracht. Meine Erfahrung zeigt: Je schwieriger die Diskussionen über die bilaterale Beziehung zwischen der Schweiz und der EU waren, umso schwieriger wurde jeweils auch die Position der Schweiz als assoziierter Schengenstaat in der Polizeizusammenarbeit.
Für viele Frauen ist die Sicht auf eine stabile und sichere Zukunft enorm wichtig. Wie kann die Schweizer Europapolitik Ihres Erachtens auch in Zukunft dazu beitragen?
Ich hoffe, die Sicht auf eine stabile und sichere Zukunft ist nicht nur für uns Frauen, sondern auch für die Männer und vor allem für unsere Kinder wichtig. Die Schweiz profitiert wirtschaftlich von Europa. Wie würden wir unsere Spitäler, Alters- und Pflegeheime, Hotels, Restaurants, den Tourismus, Baustellen und die Landwirtschaft betreiben, ohne die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie Zugewanderten aus Europa?
Die Schweiz muss sich aktiv beteiligen, auf die EU immer wieder zugehen und ihr zeigen, dass sie für die EU einen Mehrwert bringt – beispielsweise mit Forschung und Innovation, mit hochspezialisierten Branchen, mit ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt, ihrem gelebten Föderalismus und der direkten Demokratie, ihrem Ausbildungssystem und ihren Erfolgen als Austragungsort wichtiger internationaler Konferenzen (und damit meine ich nicht den ESC).
Es ist an der Zeit, zusammen für eine faire Zukunft und eine nachhaltige Europapolitik einzustehen. Denn sie bietet uns Frauen so viele Möglichkeiten! Je mehr Frauen, desto lauter sind wir!