Eine Frage der Identität? Neue Wege in der Europa-Debatte

Nicole - Team s+v
Nicole - Team s+v
1 November 2022 Tempo: 4 minuti
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Podiumsdiskussion
Gestern Abend ist die vierteilige Europa-Debatte von stark+vernetzt in Luzern in die zweite Runde gegangen. Das Thema des Abends – die Souveränität der Schweiz sowie ihre Rolle innerhalb Europas – bot einmal mehr viel Gesprächsstoff. Obwohl der Schlüsselbegriff während des Podiums von den Gesprächsteilnehmenden unterschiedlich interpretiert wurde, waren sich zum Schluss alle einig: Um in der Schweizer Europapolitik wieder vorwärtszukommen, muss die Debatte rund um das Identitätsverständnis von uns Schweizerinnen und Schweizern neu aufgerollt werden.

Kaum ein anderer Begriff ist mit derart mannigfaltigen Emotionen und Deutungen behaftet wie derjenige der Souveränität. Entsprechend gross ist der Interpretationsspielraum. Und genau das ist eines der Hauptprobleme in der aktuellen Debatte um die Europapolitik. Einerseits will unser Land möglichst unabhängig bleiben, andererseits aber von den vielen Vorteilen der europäischen Integration profitieren. Aus diesem Dilemma wieder rauszukommen, ist gar nicht so einfach und war einer der Gründe, die zum Scheitern des Rahmenabkommens geführt haben. Um sich bei künftigen Verhandlungen über die Beziehung mit der EU nicht wieder gleich zu verheddern, braucht es einen ehrlichen und offenen Dialog. Zusammen mit der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ, economiesuisse, HotellerieSuisse, der Vereinigung «Die Schweiz in Europa» sowie Operation Libero ging stark+vernetzt gestern in Luzern deshalb diesem Begriff auf den Grund und lud zu einem Diskussionsabend ein. Auch hier wieder mit dem Ziel, durch einen konstruktiven Austausch Lösungsansätze zu finden und den Stillstand in der Europapolitik zu überwinden.

Geschichtlicher Hintergrund als Orientierungshilfe in der aktuellen Europapolitik

Einer der bekanntesten Historiker in unserem Land, Prof. André Holenstein von der Uni Bern, hat die Besucherinnen und Besucher während seines Inputreferats auf eine Reise durch die Jahrhunderte genommen und daran erinnert: «Die Schweizer Geschichte war schon immer eine Integrationsgeschichte.» Kooperationen und Integration sind aus seiner Sicht seit jeher ein Erfolgsmodell unseres Landes und haben den Entstehungsprozess der modernen Schweiz massgebend geprägt. «Die Schweiz liegt nun einmal dort, wo sie liegt», erinnerte er das Publikum. «Sie braucht gute Beziehungen zu ihren geopolitischen Nachbarn.» Die Augen dürften deshalb nicht verschlossen werden vor der Notwendigkeit eines einvernehmlichen Verhältnisses mit der EU. In derart unsicheren Zeiten wie gerade jetzt gelte das umso mehr.

Gemeinsames Fazit auf dem Podium: Europa-Debatte muss endlich geführt werden

Doch: Wie viel Europa wollen wir überhaupt? Mit dieser zentralen Frage öffnete der Moderator, Jérôme Martinu, Chefredaktor der Luzerner Zeitung, das anschliessende Podiumsgespräch. Daran teilgenommen haben economiesuisse-Direktorin Monika Rühl, Prof. Dr. Alexander Trechsel, Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Kommunikation an der Uni Luzern, Sanija Ameti, Co-Präsidentin der Operation Libero und Franz Grüter, Verwaltungsratspräsident der green.ch Gruppe und SVP-Nationalrat. «Die Beziehung CH-EU war immer wieder kompliziert», führte Rühl aus. Doch jetzt liege der Ball klar bei der Schweiz. «Unser Land ist Teil des europäischen Kontinents und wir sind alle Europäerinnen und Europäer. Wir teilen Traditionen, Werte und auch Sprachen mit unseren direkten Nachbarn», erklärte sie weiter und ergänzte: «Wir können uns selbstbestimmter einbringen, wenn wir am Tisch mitreden.» Trechsel knüpfte hier an und wandte sich besorgt ans Publikum: «Die Schweiz wird einen hohen Preis bezahlen, wenn sie bei Horizon Europe nicht dabei ist.» Es müsse im Interesse aller Akteure sein, eine gemeinsame Lösung zu finden. «Die völlige Souveränität hatte die Schweiz nie, wie der Blick in die Geschichte zeigt», fügte er weiter an. Im Volk gäbe es durchaus Mehrheiten für eine mutigere Europapolitik. Auch für Ameti war klar: «Wir wollen so viel Europa, wie uns erlaubt, weiterhin handlungsfähig zu sein.» Die Operation Libero wolle mit der Europa-Initiative den öffentlichen Diskurs wieder anstossen und dafür sorgen, dass Bundesrat und Politik sich der Klärung der institutionellen Fragen endlich annehmen müssen. Selbst Grüter hielt fest: «Die Schweiz ist weltoffen. Wir wollen gut vernetzt sein, aber wir wollen als Land unabhängig bleiben». Er freue sich, wenn die Initiative zustande käme und das Volk diesbezüglich zu Wort komme.

Die Zeit drängt

Eines wurde am gestrigen Abend deutlich: Die Uhr tickt. Will die Schweiz nicht ins Abseits geraten, muss jetzt vorwärts gemacht werden. Dass das Souveränitätsthema heikel und aktuell bleibt, hat der Abend eindrücklich gezeigt. Um hier einen Schritt in Richtung Deblockierung der Europapolitik zu kommen, ist eine grundlegende Debatte über unsere Identität und unser Selbstverständnis als Land inmitten von Europa unausweichlich.

 

Der Auftakt der grossen Europa-Debatte von stark+vernetzt in vier Städten fand am 26. Oktober in Zürich statt. Hier geht’s zum Rückblick-Blog: «Europapolitik: endlich den Knoten lösen!»

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